Brüssel, 23.10.09 - Nach der 2006 in Kraft getretenen Health Claims Verordnung sind Werbeaussagen wie "stärkt die Abwehrkräfte" künftig nur noch erlaubt, wenn die beworbene Wirkung auch tatsächlich wissenschaftlich nachgewiesen werden kann. Nach Einschätzung der Europaabgeordneten und Expertin für Lebensmittelfragen, Dr. Renate Sommer, droht die Umsetzung der Verordnung jedoch zu einem Mammutprojekt zu werden, das nicht nur Unsummen an Steuergeldern verschlingt, sondern auch zu bizarren Werbeverboten für besonders gesunde Produkte führt:
"Wieder einmal läuft eine gut gemeinte Idee der Kommission zum Schutz der Verbraucher völlig aus dem Ruder. Da die Verordnung nicht einzelne Aussagen verbietet, sondern nur jene, die nicht explizit zugelassen sind, wurde die EFSA mit einer Flut von 40.000 Anträgen für die Zulassung von Health Claims überrollt. Die für Anfang 2010 geplante Liste mit den genehmigten Werbeaussagen wird deshalb wohl noch 2 Jahre auf sich warten lassen.
Allein diese Verzögerung hat große Auswirkungen auf die Lebensmittelindustrie. Welches Unternehmen will in die Entwicklung neuer Produkte investieren, wenn nicht klar ist, dass das verbesserte Produkt auch entsprechend beworben werden kann? Verheerend sind auch die handwerklichen Fehler, die bei der Festlegung der Richtlinien für die Prüfung der Werbeaussagen gemacht wurden.
Um die Arbeit der Behörde in Parma zu erleichtern, beschränken sich die Bewertungsmaßstäbe auf die Wirkung aktiver Substanzen in Lebensmitteln. Produkte, die aufgrund des Fehlens potentiell schädlicher Stoffe oder einer vergleichenden Aussage als gesund beworben werden, fallen nicht in dieses starre System und sollen deshalb auch nicht zugelassen werden. Dies könnte zu bizarren Werbeverboten führen, die so sicherlich nicht gedacht waren:
Das bekannte Zahnmännchen-Siegel, das "zahnfreundliche" zuckerfreie Produkte auslobt, dürfte demnach nicht mehr verwendet werden. Auch gesundheitsbezogene Angaben, die aus der Reduzierung von potentiell schädlichen Nährstoffen wie Transfettsäuren resultieren, gehören dann der Vergangenheit an. Insgesamt stünden Unternehmen, die mit jahrelanger Forschungsarbeit zum Beispiel in die Entwicklung verbesserte Technologien oder von Ersatzstoffen investiert haben, vor dem Ruin.
Die Akteure scheinen das ursprüngliche Ziel der Verordnung aus den Augen verloren zu haben. Der medizinische Ansatz der EFSA führt zu einer Bewertung der Lebensmittel nach Arzneimittelkriterien. Die Kommission ist nicht bereit, diesen Fehler durch die Änderung der Bewertungskriterien zu korrigieren. Zu allem Überfluss fordern einige Mitgliedstaaten jetzt auch noch Angaben nach quantitativen Kriterien wie "reduziert den Bluthochdruck um 20%". Tritt diese Reduzierung nicht ein, könnte die Kommission mit Schadensersatzforderungen konfrontiert werden. Bleibt nur zu hoffen, dass wenigstens die Kollegen im Europäischen Parlament einen kühlen Kopf bewahren und im Rahmen des Komitologieverfahrens die nötigen Korrekturen einfordern."